Psychische Gesundheit ist keine Gesundheit zweiter Priorität


Psychische Gesundheit ist keine Gesundheit zweiter Priorität – Psychotherapeutische Versorgung und Nachversorgung nachhaltig verbessern

Wir Junge Liberalen setzen uns für eine umfassende Reform des gesellschaftlichen und gesundheitspolitischen Umgangs mit psychischen Erkrankungen ein.

1. Prävention und gesellschaftliche Aufklärung

Langfristig kann sich unser Umgang mit psychischen Erkrankungen nur ändern, wenn wir deren gesellschaftliche Perzeption ändern. Die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen führt dazu, dass viele Patienten zu spät eine Behandlung beginnen, unter Diskriminierung leiden und langsamer genesen. Ein Umdenken muss daher auf mehreren Ebenen erfolgen: Wir fordern eine umfassende Aufklärung über psychische Gesundheit in der Schule. Diese soll in den Lehrplan der Mittelstufe eingefügt werden. Erste Ansprechpartner bei psychischen Problemen sind meist Hausärzte. Daher muss auch hier eine weitergehende Sensibilisierung erfolgen, da sich psychische Erkrankung oftmals als somatische Beschwerden manifestieren und nicht zuverlässig erkannt werden. Zur gesamtgesellschaftlichen Aufklärung fordern wir eine umfassende Kampagne der BZgA zur Entstigmatisierung psychischer Probleme. Des Weiteren befürworten wir mehr Aufklärung der Patienten über Erkrankung, Medikamente und Therapiemöglichkeiten durch die Behandelnden, denn Arzt und Therapeut können dem Patienten zwar helfen- die Verantwortung für seine Gesundheit und den Genesungsprozess trägt jedoch jeder Patient selbst. Eine solche Aufklärung ist insofern Grundstein für einen mündigen Patienten, der dieser Verantwortung gerecht werden kann. Hierfür sollen auch Einzelgespräche mit dem Ziel der Psychoedukation sowie Patientenschulungen in Gruppen vergütet werden.

2. Ausbildung der psychologischen Psychotherapeuten

Die Reform der Psychotherapeutenausbildung von 2019 begrüßen wir grundsätzlich. Zu kurz kommen hierbei jedoch Personen mit abgeschlossenem Psychologiestudium, das ihnen bisher lebenslang die Zulassung zur Ausbildung erlaubte. Eine Übergangsregelung von 10 Jahren ist hier nicht ausreichend. Stattdessen muss die Möglichkeit geschaffen werden, die praktischen Elemente sowie Supervision des Psychotherapiemasterstudiengangs wahrzunehmen und anschließend ebenfalls eine Approbation zu erhalten. Weiterhin muss auch der neue Weg über das Studium eines polyvalenten Bachelorprogrammes und eines spezialisierten Masterprogrammes sowie die anschließende Weiterbildung grundsätzlich berufsbegleitend und in Teilzeit möglich bleiben.

3. Maßnahmen zur Verkürzung der Wartezeiten

Die jetzige Bedarfsplanung ist durch eine Reihe an systemischer Fehlern gebeutelt: • falsche empirische Angaben zur Häufigkeit von seelischen Erkrankungen innerhalb der Landbevölkerung im Vergleich zur Stadtbevölkerung • Zweifelhafte Annahmen zu Mitversorgungseffekten der Städte gegenüber der Umgebung • Keine regionalen Anpassungen an die Bevölkerungsstruktur Dieser planwirtschaftliche Ansatz hat es bis heute nicht geschafft, die Wartezeiten für eine psychotherapeutische Erstversorgung und für einen Richtlinienpsychotherapieplatz auf ein haltbares Maß zu reduzieren. Denken wir daher neu: Zukünftig soll jeder Psychotherapeut und Kinder- und Jugendpsychotherapeut sofort nach der Approbation das Recht auf freie Niederlassung und Abrechnung mit den gesetzlichen Krankenkassen erhalten. Gleiches gilt für Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie nach der Eintragung in das Facharztregister. Förderprogramme, die Psychotherapeuten zur Niederlassung in Regionen mit sehr hohen Wartezeiten anregen, sollen eingerichtet werden und laufen, bis die Wartezeit für einen psychotherapeutischen Ersttermin unter vier Wochen, für eine psychotherapeutische Akutbehandlung unter drei Wochen und für einen Therapieplatz der Richtlinienpsychotherapie unter drei Monaten liegt. Auch muss die Kommunikation mit den Terminservicestellen barrierefrei möglich sein, ebenso ihre Bekanntheit sichergestellt werden. Die Psychotherapie muss im 21. Jahrhundert ankommen. Psychotherapie im digitalen Wege muss bei Sicherstellung des Datenschutzes und der Datensicherheit erlaubt werden und mit den Krankenkassen abgerechnet werden können. Hierfür muss die Begrenzung auf 20% der Patienten dauerhaft aufgehoben werden.

4. Keine Segmentierung der psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung, Modellprojekte vorantreiben

Im deutschen Gesundheitssystem stehen auf der einen Seite die Kliniken, auf der anderen die niedergelassenen Therapeuten und Psychiater. Wer nach stationärer Behandlung die Klinik verlässt, wird oftmals allein gelassen. Das bisherige Entlassmanagement der Kliniken ist oft unzureichend. Wir fordern eine angemessene Unterstützung der entlassenen Patienten, sich ggf. einen ambulanten Psychotherapieplatz, einen Platz in Einrichtungen für betreutes Wohnen, in Tageskliniken und Tagesstätten zu suchen. Nur so kann der, stationär erreichte Behandlungserfolg langfristig gesichert werden. Dies ist durch die bessere Vergütung dieses Entlassmanagements zu erreichen. Des Weiteren befürworten wir das Vorantreiben von Modellprojekten, die einen für den Patienten möglichst schonenden und nachhaltigen Übergang von stationärer zu ambulanter Behandlung erproben. Vorstellbar sind auf lange Sicht unter anderem Klinikformen, die je nach Zustand des Patienten stationäre, tagesklinische und ambulante Behandlungsformen anbieten – bei gleichbleibenden Behandlungsteams.

5. Vergütungssystem ohne Fehlanreize

Das Pauschalierende Entgeltsystem Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP) mit tagesgleichen Sätzen und grundsätzlicher Reduktion der Sätze nach 21 Tagen setzt Fehlanreize: So werden Patienten zu früh entlassen, sodass sie nach wenigen Wochen erneut eine stationäre Behandlung aufsuchen müssen. Stattdessen muss sich das Entgeltsystem an der Ressourcenintensität der Patienten orientieren. Das Ziel muss sein, Patienten zu entlassen, die nach erfolgreichem Entlassmanagement und ambulanter Weiterbehandlung möglichst ohne weiteren stationären Aufenthalt auskommen. Hierfür fordern wir die Abschaffung des PEPP und die Abrechnung nach erbrachten ärztlichen Leistungen für die gesamte Dauer der nach ärztlicher Einschätzung notwendigen Behandlung.

6. Unabhängige Kontrollen

Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen sind in besonderem Ausmaß schutzbedürftig. Seltene, unangekündigte Kontrollen in Kliniken und Einrichtungen betreuten Wohnens werden dieser Tatsache nicht gerecht. Wir fordern • zumindest jährliche, zwingend unangekündigte Kontrollen von unabhängiger Stelle • unabhängige Patientenfürsprecher, die weder Mitarbeiter noch ehemalige Mitarbeiter der Einrichtung sind • die Finanzierung unabhängiger Beschwerdestellen durch die Bezirke

7. Keine gesetzliche Stigmatisierung

Psychisch kranke Menschen dürfen keine gesetzliche Stigmatisierung erfahren. Wir fordern daher die umgehende Streichung des Art. 26 Abs. 5 BayPsychKHG und Art. 27 Abs. 4 BayPsychKHG. Diese fordern eine Meldung der psychiatrischen Einrichtung an die Kreisverwaltungsbehörde und zuständiger Polizeidienststelle bei Lockerungen der Unterbringung bzw. Entlassung aus der Unterbringung. Ein Psychisch- Kranken-Hilfe-Gesetz, das seinen Namen verdient, darf pauschalen Unterstellungen keinen Raum geben.

8. Gesetzliche Betreuer

Um sicherzustellen, dass Berufsbetreuer jedem ihrer Betreuten gerecht werden können, fordern wir eine Begrenzung der Anzahl an Betreuten pro Betreuer auf 40.

9. Kleinteiligere Evaluationen

Im Grundsatz begrüßen wir die Bemühungen des Gemeinsamen Bundesausschusses insbesondere durch die letzte Reform der Psychotherapie-Richtlinie die allgemeine Zugänglichkeit psychotherapeutischer Behandlung zu verbessern. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat in der reformierten Psychotherapie-Richtlinie ebenfalls eine Evaluation der Reformeffekte beschlossen – allerdings erst vier bzw. fünf Jahre nach Reform. Im Hinblick auf die nach wie vor bestehenden Missstände halten wir im Grundsatz bei Reformbemühungen in diesem Bereich kleinteiligere Evaluation alle zwei Jahre für notwendig, um Probleme frühzeitig erkennen und angehen zu können.


Gültigkeit: 10 Jahre


Antragsteller: JuLis Oberbayern, LAK IV: Gesundheit