Demografischer Wandel: Es geht um die Freiheit aller Generationen

Euro-Rettung, Börsencrash, Umstürze in aller Welt  – täglich steht die Politik vor neuen Herausforderungen, die sie zu meistern hat. Doch eine Herausforderung scheint Deutschland fast vergessen zu haben: Der demografische Wandel. Reagiert die Politik nur zögerlich auf ihn, wird er für uns alle ein Problem – ein Problem für die Lebensfreiheit von Jung und Alt.  Seit dem „Pillenknick“ in der bundesdeutschen Demografie weiß die Politik, wie die Zukunft unserer Gesellschaft aussehen wird: In Deutschland werden zunehmend ältere Menschen leben – dank guter gesundheitlicher Versorgung auch bis ins hohe Alter. Zwischen 1960 und 2005 stieg die Lebenserwartung älterer Menschen von etwa 67 Jahren auf 77 Jahre bei Männern und von etwa 72 Jahren auf 82 Jahren bei Frauen an. Gleichzeitig sank die Geburtenrate von 2,4 auf heute etwa 1,4 Kinder.  Während die Alterspyramide sich auf den Kopf stellte, reagierte die Politik lange Zeit leider kaum und setzte stattdessen immer wieder auf schneller wirkende Wahlkampfschlager. Arbeitsmarkt, Sozialsysteme und Infrastruktur wurden nicht auf eine alternde Gesellschaft vorbereitet. Ein fataler Fehler, der heute und in naher Zukunft die Freiheit aller Generationen berühren wird.
Für die junge Generation stellt sich zunehmend die Frage, wie sie zukünftig die Lasten überwiegend umlagefinanzierter Sozialsysteme tragen soll.  Noch zu stark ist die Funktionsfähigkeit unseres Sozialstaates von der Prosperität und Größe der arbeitenden Generation abhängig. Der Anstieg der Sozialversicherungsbeiträge und die zunehmenden Zuschüsse aus dem Staatshaushalt für die unterfinanzierten Kassen belegen das Problem. Es wird Zeit, unsere Sozialsysteme zu einer stärkeren Kapitaldeckung hin umzubauen und unser Gesundheits- und Pflegesystem von den Lohnkosten durch Prämienmodelle endgültig zu entkoppeln. Die ersten Anfänge wurden durch die Gesundheitsreform der Koalition gemacht – weitere  müssen folgen. Auch wenn Reformen im Sozialstaat immer mit Verlustängsten in breiten Teilen der Bevölkerung einhergehen und oftmals Popularität kosten – die  Lebenschancen und Freiheit kommender Generationen sollten uns diesen Mut Wert sein. 
Während sich für die jüngere Generation also die Frage nach einer fairen Lastenverteilung stellt, stellt sich für die ältere Generation die Frage nach gesellschaftlicher Teilhabe im Alter. Denn was hat ein älterer – etwa körperlich eingeschränkter Mensch – von einer freien Welt, wenn er keinen Zugang mehr zu dieser hat? Ein alter Mensch, der wegen der Treppen am Bahnsteig nicht mehr Zugfahren kann oder der wegen seiner Wohnung im dritten Stockwerk ohne fremde Hilfe nicht mehr das Haus verlassen kann?  Ein alter Mensch, dessen Alltag beim Gang zu Behörden oder beim Besuch von Museen wegen fehlender Barrierefreiheit zur körperlichen Belastung wird? Die Barrierefreiheit unserer Infrastruktur mag für viele ein politisches Randthema sein. Für immer mehr Menschen ist sie jedoch Voraussetzung von Mobilität, gesellschaftlicher Teilhabe und damit persönlicher Freiheit im Alter. Schon heute leben in Deutschland 9,6 Millionen Menschen mit Behinderungen – darunter Behinderte von Geburt an und Behinderte aus Altersgründen. 2,5 Millionen Seniorenhaushalte weisen Mobilitätseinschränkungen auf. Die Politik ist angehalten, durch Förderung altersgerechten Wohnens und Investitionen in eine barrierefreie Infrastruktur ihren Beitrag zu leisten. Natürlich müssen wir uns als Liberale dabei immer die Frage stellen, ob derartige Investitionen denn Aufgabe des Staates sind. Doch gesellschaftliche Teilhabe für alle Menschen zu ermöglichen, das ist aus liberaler Sicht Aufgabe des Staates. Unser Sozialstaatsgedanke will keine staatliche Versorgung bei Menschen, die selbstbestimmt und eigenständig leben könnten. In der Pflege ist diese Idee freilich nicht immer einfach zu verwirklichen, sind doch viele ältere auf ein Pflegeheim angewiesen. Aber nicht wenige ältere Menschen könnten noch selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden bei ambulanter Pflege leben, wäre ihr Haus altersgerecht umgebaut und wäre der Alltag als körperlich eingeschränkter Mensch einfach zu bewältigen. Hier wird ein treffsicherer Sozialstaat den Interessen der Betroffenen gerechter. Denn häusliche Pflege würde die Familien nicht nur um 1500 Euro monatlich entlasten – es ist vor allem auch der Wunsch einer überwiegenden Mehrheit der älteren Generation, den eigenen Lebensabend in gewohnter Umgebung zu verbringen. Sozial ist also, was Selbstbestimmung und eigenständiges Leben fördert – zu jeder Zeit und überall.

Sebastian Körber ist Mitglied des deutschen Bundestages (seit 2009) und kommt aus Forchheim. Bis 2010 war er Landesvorsitzender der Jungen Liberalen Bayern. Sebastian erreicht man am besten per Email an sebastian.koerber@julis-bayern.de
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